Nach einer Idee von Sebastian Fitzek: Der neue Thriller von Vincent Kliesch
Akustische Forensik, ein undurchsichtiger Profiler und ein entführtes Baby: das ist »Auris - Die Frequenz des Todes«. Mit Phonetiker Matthias Hegel ist ein Ermittler am Werk, der Verbrechen anhand von Stimmen oder Geräuschen aufklären kann.
In seinem neuen Fall bricht nach kurzen Kampfgeräuschen der panische Notruf einer Mutter plötzlich ab. Wenn jemand aus diesem Tonfragment Informationen zur Rettung des Babys ziehen kann, dann der forensische Phonetiker Matthias Hegel – der wegen Mordverdachts noch immer in U-Haft sitzt. Mithilfe einer List spannt er erneut Crime-Podcasterin Jula für seine Ermittlungen ein. Was die junge Frau in tödliche Gefahr bringt …
Leseprobe
»Auris - Die Frequenz des Todes«
Von allen Geräuschen, die es vermögen, das Grauen anzukündigen, vernahm Cecile Dorm das vermutlich schlimmste. Es war kein heftiges Pochen an der Wohnungstür mitten in der Nacht. So wie letztens, als der Nachbar von schräg gegenüber im Pyjama vor ihrer Haustür gestanden hatte. Friedmann, der sonst nicht einmal grüßte, vermutlich, weil er sich für etwas Besseres hielt, hier in der Villengegend in Westend ... die uns eigentlich eine Nummer zu groß ist, Schatz. Findest du nicht?
Aber ihr Mann Jonathan mochte es, war hier groß geworden, wenn auch in einem Mietshaus ohne Garten. So gesehen hatten sie es nun in dem renovierungsbedürftigen, aber großzügigen Anwesen besser. Auch wenn es einsamer war als in ihrem Heimatdorf in Mahlow, wo Cecile früher nie schräg angeguckt worden war, wenn sie mal eilig im Jogginganzug, ungeschminkt und mit einem hastig gebundenen Verlegenheitszopf was fürs Frühstück holte. »Ist das nicht die Tante vom Jugendamt? Die Frau vom Nervenarzt? Der holt sich seine Irren nach Hause, heißt es. Ja, er hat jetzt sogar die Praxis vom Dachboden in den Keller verlegt. Ob er in der Klinik rausgeflogen ist? Und das Haus! Nicht mal einen Anstrich können die sich leisten.«
Das hatte ihr Friedmann, der sich seit seiner Pensionierung zu so etwas wie einem Nachbarschaftssheriff aufgeschwungen hatte, sogar einmal ins Gesicht gesagt: »Eine Schande, wie Sie die alte Villa verkommen lassen.« Damals jedoch, als er sie aus dem Schlaf gerissen hatte, war ihm die bröckelige Fassade nicht wichtig gewesen. Barfuß und mit einem nicht funktionierenden Telefon in der Hand stand er vor ihnen.
»Sie sind doch Arzt«, hatte er flehentlich zu Jonathan gesagt. »Bitte, mein Enkel erstickt!«
Der Vierjährige, den die Friedmanns für ihre Tochter babysitteten, hatte einen Pseudokrupp-Anfall erlitten. Cecile wickelte den Kleinen einfach in eine Decke und trug ihn nach draußen. Sein spastischer Hustenkrampf hatte sich schnell gelöst.
Jetzt hingegen war es kein ersticktes Röcheln, das Ceciles Herz dazu brachte, ihr gegen die Rippen zu schlagen wie ein Basketball aufs Turnhallenlinoleum. Auch kein Hupen, gefolgt von quietschenden Autoreifen, das sich rasend schnell auf sie zubewegte. Weder das Bersten von Fensterglas im Wohnzimmer, während sie nachts im Bett lag, noch das helle Knacken eines Knochens beim Aufprall nach einem Sturz. Das Geräusch, das sie so sehr ängstigte, war weit schlimmer als all das. Es kam direkt aus der Wiege, in die sie die kleine Selma zum Schlafen gelegt hatte. Das Geräusch war Stille. Nichts als absolute, erbarmungslose Stille.
Von dieser beängstigenden Ruhe war Cecile geweckt worden. Nur für einen kurzen Moment hatte ihre Erschöpfung die Oberhand gewonnen über das Beschützertier, das seit Neuestem in ihr wohnte. Die Bärenmama, die ihr Junges nicht für einen Augenblick aus den Augen lassen wollte, hatte versagt und war mit der Milchpumpe in der Hand auf dem Sofa eingeschlafen. Und das lag nicht einmal daran, dass Nachtruhe und Durchschlafen seit nunmehr sechs Wochen nicht mehr als entfernte Erinnerungen für sie waren. Nachts war sie alle zwei Stunden aufgestanden, um ein Fläschchen zuzubereiten, weil das wenige, das aus ihren Brüsten in die Pumpe tropfte, nicht einmal ein Mäusebaby hätte satt machen können. Einmal hatte Jonathan angeboten, ihr zu helfen, hatte mit schläfriger Hand und geschlossenen Augen müde nach ihr getastet, doch sie hatte abgewinkt. Er brauchte seinen Schlaf für die Patienten. Musste ausgeruht sein, durfte keine Fehler machen. Gerade jetzt, da er sich endlich – nach über einem Jahrzehnt als Arzt und Psychotherapeut in verschiedenen Berliner Kliniken – selbstständig gemacht hatte. Die Depressions-, Essstörungs- und Panikpatienten, die ihn hier zu Hause in seiner Praxis aufsuchten, hätten kein Verständnis dafür, wenn er es Cecile gleichtat und während einer der Therapiesitzungen einschlief. Wobei es aber gar nicht das Baby gewesen war, das Cecile in der vergangenen Nacht so beschäftigt hatte – in den zwei Stunden zwischen den Fläschchen, die sie Selma anreichte und während derer sie nur schwer zurück in den Schlaf finden konnte. Es war die Tatsache, dass sie nun schon seit Tagen ihre Mutter nicht erreichen konnte. Die beiden telefonierten regelmäßig miteinander, und es sah ihrer Mutter so gar nicht ähnlich, dass sie bereits seit einer Woche nicht mehr auf Ceciles Nachrichten reagierte, die sie ihr auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte.
»Ruf mich bitte zurück, Mama, ich hab dir so viel zu erzählen. Meine Kollegin hat mir von einem Einsatz berichtet – in einer völlig verwahrlosten Familie, die bis zum Mutterschutz unter meiner Betreuung stand. Sie musste das Kind aus der Familie nehmen, dabei hatte ich bis zuletzt gehofft, dass es zu vermeiden wäre. Du kannst dir die Zustände nicht vorstellen. Gott, bin ich froh, dass Jonathan nicht trinkt oder Drogen nimmt. Wobei ich das Gefühl habe, dass er sich verändert hat, seit Selma da ist. Manchmal denke ich sogar, er ist eifersüchtig auf die Kleine. Aber vielleicht irre ich mich ja auch, ich meine, es ist schon alles etwas viel für ihn. Du weißt ja, wie überfordert er mit privaten Dingen manchmal ist. Erinnerst du dich an die Hochzeit? Gott, was war er nervös ...« Cecile hatte kichernd aufgelegt.
Die Hochzeit! Was für ein wunderschöner Tag das gewesen war. Mindestens genauso schön wie der Moment, als Jonathan ihr den Antrag gemacht hatte. Er hatte so unglaublich aufrichtig geklungen, als er nach dem Besuch im Theater des Westens in dem kleinen Restaurant an der Hardenbergstraße ihre Hand ergriffen hatte. Als er sie angesehen hatte, wie er es nur dann tat, wenn er etwas Bedeutsames zu verkünden hatte. Mit diesem Funkeln in den grünen Augen, das Cecile immer nur dann an ihm bemerkte, wenn er mit ihr sprach.
»Könntest du dir vorstellen, einen Mann zu heiraten, der zwanzig Jahre älter ist als du, der seltsame Hobbys hat, jeden Tag mit psychisch Kranken arbeitet und der morgens nach dem Aufwachen immer erst mal mürrisch ist und aussieht wie ein Kobold?«
Cecile hatte gelacht, aber nicht wegen Jonathans selbstironischer Scherze. Immerhin war es auch ein solcher Scherz gewesen, mit dem er sie das erste Mal zu einem Rendezvous eingeladen hatte. »Würden Sie mit mir essen gehen, solange ich die Gabel noch selbst zum Mund führen kann?«, hatte er sie gefragt, nachdem sie ihn überraschend auf der Geriatrie besucht hatte. Eine Schwester reichte dort gerade fürsorglich einer alten Dame das Essen an, und Cecile und Jonathan hatten ihr für einen Augenblick dabei zugesehen. »Nur, wenn ich Ihnen danach nicht den Rücken mit Franzbranntwein einreiben muss«, hatte Cecile geantwortet und damit ihre Beziehung nach wochenlangem Austausch von E-Mails und WhatsApp-Nachrichten auf eine neue Ebene gehoben.
Nein, Cecile hatte aus Verlegenheit über den Heiratsantrag gelacht. Aus Verlegenheit darüber, dass sie nicht sicher war, was sie Jonathan antworten sollte. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass es absolut richtig für sie wäre, ihn zu heiraten. Das Beste, was ihr jemals passieren könnte. Woran sie zweifelte, war, ob es auch das Beste für ihn sein würde, sie zur Frau zu nehmen. Eine kleine Inspektorin vom Jugendamt, die gern Daily Soaps sah, im Konzert an den falschen Stellen klatschte und mit ihrer Abstammung vom brandenburgischen Dorf auch sonst nicht eben von dem Kaliber war, das ein Dr. Jonathan Dorm aus dem feudalen Westend an seiner Seite erwarten durfte.
Zu Ceciles Freude war ihre Mutter stolz darauf, dass sie Jonathan an ihrer Seite hatte. Was hätten wohl andere Mütter gesagt?
Er ist zu alt für dich, als Psychologe ist der garantiert selbst verrückt, wenn der sich eine andere sucht, sitzt du mit dem Kind auf der Straße. Doch so etwas hätte Ceciles Mutter nie gesagt. Im Gegenteil, es gab nichts Gutes, das sie ihrem einzigen Kind nicht gegönnt hätte. Und dann hatte ihre Tochter diese wahrhaft gute Partie gemacht, denn wenn Jonathan auch nicht reich war, so vermochte er ihr doch immerhin ein Leben in bürgerlichem Wohlstand zu ermöglichen. Einem Wohlstand, den ihre Mutter nie erlebt hatte und den sie ihrer kleinen Cecile allein deswegen von ganzem Herzen gönnte.
Es war eine unerträgliche Stille, die sich ihren Weg aus Selmas Wiege zu Cecile bahnte. Hat Jonathan sie vielleicht woanders hingebracht? Cecile wagte es nicht, sich dem Babybett zu nähern. Wie versteinert blieb sie auf der Schwelle der Verbindungstür stehen, die das Kinderzimmer vom Schlafraum trennte. Die Tür war seit Selmas Ankunft niemals geschlossen gewesen, noch nie hatte die Kleine ein Geräusch von sich gegeben, das Cecile nicht gehört hätte. Warum sollte Jonathan sie aus der Wiege nehmen? Und warum sollte ich das nicht merken?
Als läge ein böser Fluch über dem Kinderzimmer, verweilte Cecile auf der Schwelle, während ihr Puls sich mit jedem Schlag ihres Herzens weiter und weiter beschleunigte. Das liebevoll eingerichtete Zimmer mit den niedlichen Bildern an der Wand, den Kuscheltieren auf den Möbeln und dem sanften Rosenduft erschien Cecile mit einem Mal so düster und unheimlich wie ein Grabgewölbe. In ihrem hellblauen Trainingsanzug stand sie mit zittrigen Knien da und hoffte entgegen aller Vernunft, dass sie sich nur in einem bösen Traum befand.
Es war erst wenige Wochen her, dass Cecile mit der kleinen Selma nach Hause gekommen war. Ein kerngesundes Mädchen, das jedem, der es zu Gesicht bekam, unweigerlich ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Auch wenn es nicht viele Menschen waren, die das Kind bislang zu sehen bekommen hatten. Cecile und Jonathan hatten Selma noch nicht herumgezeigt, wie andere Eltern es getan hätten. Sie hatten keine Fotocollagen immer gleicher Babybilder auf sozialen Netzwerken veröffentlicht, keine Karten an den erweiterten Bekanntenkreis verschickt, die mit einem niedlichen Foto von Selma, erwartbaren Körpermaßen und einem Spruch wie Hier bin ich! bedruckt waren. Und das, obwohl Cecile es eigentlich in die Welt hatte hinausschreien wollen: Seht sie euch an, das ist Selma, das wundervollste Kind auf dem Planeten! Kerngesund, bildschön, ein wahrer Engel!
Doch Jonathan war es mit seiner einfühlsamen Art gelungen, sie davon abzuhalten.
Die Geburt war schwer und belastend für euch beide, Schatz. Lass es uns noch nicht an die große Glocke hängen, ihr braucht jetzt erst mal Ruhe. Wenn unsere Familienund Freunde alle ankommen, setzen wir Selma nicht nur Stress aus, sondern auch der Gefahr von Infektionen. Ich weiß, du denkst jetzt, dass da der überängstliche Mediziner aus mir spricht. Der in seinem Beruf zu viele schlimme Dinge erlebt hat und jetzt bei seinem eigenen Kind auf Nummer sicher gehen will. Aber wir haben doch Zeit und sollten auf keinen Fall irgendwas riskieren! Lass Selma erst noch ein bisschen unser Geheimnis sein. Und dann gibt es eine große Überraschung für alle!
Doch jetzt war es still in der Wiege. Vielleicht schläft sie nur ganz ruhig?
Vorsichtig setzte Cecile den rechten Fuß ins Kinderzimmer. Aber es gibt doch immer ein Geräusch, auch wenn sie schläft! Sie atmet, oder es raschelt. Irgendwas höre ich immer. Sie biss die Zähne zusammen und presste sich die Hände auf den Mund. So, als ziehe eine magische Kraft sie an, während ihre Angst noch immer versuchte, sie zurückzuhalten, setzte Cecile auch den zweiten Fuß auf den flauschigen Teppich, der in dem zarten Grün gehalten war, das sie so liebte. Für einen Moment fuhr ihr Blick wirr durchs Zimmer. Über die Poster mit den Bären, Feuersalamandern und Hundewelpen, um sich dann an den wiederkehrenden Mustern der lustigen Kindertapete festzuhalten, als habe sie die Orientierung verloren.
Also gut. Sie rieb sich mit den Händen übers Gesicht und atmete tief durch.
Ich werde jetzt in diese Wiege sehen. Ein letztes Mal schien ihre Angst sie zurückhalten zu wollen, doch schließlich war es die Sorge um ihr Baby, die Cecile mit kleinen, gleichmäßigen Schritten vorangehen ließ. Als sie kurz davor war, in das Babybett hineinsehen zu können, schloss Cecile die Augen. Sie tastete sich die letzten Schritte vor und hielt inne. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen, atmete tief durch – und öffnete die Augen wieder.
Blut!
Die Frequenz des Todes
Akustische Forensik, ein undurchsichtiger Profiler und ein entführtes Baby:
die rasante Fortsetzung des Nr.-1-Spiegel-Bestsellers »Auris« der Thriller-Autoren Vincent Kliesch und Sebastian Fitzek!
»Hilfe, mein Baby ist weg! Hier ist nur Blut …« Nach kurzen Kampfgeräuschen bricht der panische Notruf einer Mutter bei der Nummer 112 plötzlich ab. Wenn jemand aus diesem Tonfragment Rückschlüsse auf den Aufenthaltsort der Frau ziehen kann, dann der forensische Phonetiker Matthias Hegel – den einige nach wie vor für einen Mörder halten.
True-Crime-Podcasterin Jula Ansorge ist es zwar gelungen, Hegel vom Mordverdacht an seiner Frau zu entlasten, doch dabei ist sie der dunklen Seite des genialen Profilers deutlich zu nahe gekommen.
Als Hegel nun im Fall des entführten Babys erneut auf ihre Recherche-Fähigkeiten zurückgreifen will, weigert Jula sich zunächst. Doch kann sie das Baby und seine Mutter wirklich ihrem Schicksal überlassen? Und was ist mit den Informationen zu ihrem tot geglaubten Bruder Moritz, die Hegel ihr angeblich beschaffen will?
Auch im zweiten Teil der Thriller-Reihe ziehen die Bestseller-Autoren Vincent Kliesch und Sebastian Fitzek wieder alle Register: Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint, und niemand bleibt so unschuldig, wie er es gern wäre. Rasante Spannung für die Fans außergewöhnlicher Thriller mit mehr als einer unerwarteten Wendung!